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Der Weg zur Diagnose

Okay, hier war ich jetzt also. Im Wartesaal des Krankenhauses für meine 1. Untersuchung des heutigen Vormittages. Eine Magenspiegelung stand auf dem Programm. Es war bereits meine zweite und ich hatte ein gutes Gefühl (dachte ich zumindest, oder habe es mir eingeredet). Der Schlaf während der Untersuchung wird mir sicherlich guttun, er ist immer so erholsam und tief. Heute war der Schlaf aber anders, es war das erste Mal, dass ich dabei geträumt habe – zumindest soweit ich mich erinnern kann. Ich träumte davon, dass ich gefangen gehalten wurde und man mich mittels «Waterboarding» quält und ich mich wehren musste.

Als die Behandlung vorbei war, fragte mich meine Mutter was los gewesen sei. Sie hat bei der Untersuchung geholfen und erzählte mir davon, dass ich während der Untersuchung versucht habe die Geräte aus meinem Mund zu ziehen und sie mich nicht beruhigen konnten – und dies im Propofol-Schlaf. Sie mussten mich scheinbar kurz «zurückholen» und erneut betäuben, um die Untersuchung abschliessen zu können. Rückblickend war ich wohl doch nicht so entspannt wie ich es mir selbst und allen anderen eingeredet habe.

Mein Aufenthalt im Krankenhaus war damit ja noch gar nicht beendet. Ich sollte direkt im Anschluss zwei Etagen höher gehen, um die Lumbalpunktion vorzunehmen. Auf dem Weg dahin liess ich mir Zeit, machte zuerst einen Abstecher in die Cafeteria. Ich musste ja nüchtern zur Magenspiegelung auftauchen – also musste ein Tee und etwas zu essen wohl drin liegen.

Ich wusste nicht wirklich viel über diese Lumbalpunktion. Bloss, dass es wohl angenehmeres gab als das und das ich danach liegen bleiben muss für eine Stunde und ich viel trinken soll, um Kopfschmerzen zu verhindern. Bewaffnet mit 2 Liter Wasser und meinen Kopfhörern ging ich also hoch zur Untersuchung.

Eine freundliche Assistenzärztin empfing mich, erklärte mir den Ablauf und zeigte mir mein Zimmer. Zum Glück allein im Zimmer, ich hasse es in solchen Situationen keine Privatsphäre zu haben.



Kaum war ich umgezogen, kam die Assistenzärztin bereits zurück. Bewaffnet mit allerhand Zeugs. Zuerst sollte mit einer kleinen Spritze alles lokal betäubt werden und anschliessend mit der grossen Nadel das Liquor entnommen werden. Dafür musste ich mich aufsetzen und nach vorne beugen.

Nach dem Betäuben wurde ich wiederholt gefragt, ob ich etwas merken würde.


Ehm sorry, das ist doch das Ziel einer Betäubung?!


Irgendwann brach sie ab und holte Verstärkung. Die Oberärztin wies sie dann darauf hin, dass bei mir mit einer Kinderspritze wohl nicht viel zu holen sei. Es müsse schon die Nadel für Erwachsene sein.

Zurück auf Feld 1 und als dann der erste Versuch mit der richtigen Nadel gesessen hat, wusste ich auch was die Nachfrage zuvor sollte. Ok, ich spürte keinen Schmerz – jedoch fühlte es sich an, als ob sich meine Gedärme alle zur gleichen Zeit in einen kleinen Tennisball zwängen wollten. Es gibt definitiv schönere Gefühle, aber immerhin schmerzfrei.

Ich konnte nach Hause. Geschafft! Jetzt kommt hoffentlich bald ein Ergebnis, damit das Ganze auch einen Namen hat. Eine Identität, womit ich mich auseinandersetzen kann.

In dieser Zeit der Unsicherheit war ich froh meine Familie und Freunde zu haben. Meine damalige Freundin und heutige Frau stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Sie hat sich eingelesen in die Untersuchungen und informiert was es sein könnte und welche alternativen es zur Behandlung oder zur Unterstützung der Behandlung geben könnte. Meine Freunde sorgten für die nötige Ablenkung und meine Familie munterte mich auf. Man wusste ja nicht was es ist und die schlimmsten Vermutungen wurden ja auch bereits ausgeschlossen.


Es gibt Momente, da liegt dein ganzer Fokus auf einer Sache im Westen und das Leben beschliesst dann dir heimlich und heimtückisch vom Osten her eine volle Breitseite mitzugeben.


In dieser Phase im Herbst 2018 war die Unsicherheit ob meiner Diagnose schon oft ein Thema. Bei mir, aber auch bei meiner Familie. Der Fokus (zumindest was die Gesundheit betraf) lag bei mir. Auch als meine Tante zu einer Routine Untersuchung ging, die man mit 50 mal machen sollte. Und das war die Breitseite, die uns das Leben heimtückisch von Hinten verpasste.


Krebs – genauer gesagt Darmkrebs!


Was soll die Scheisse? Wieso schon wieder unsere Familie? Hatten wir nicht schon genug? Und plötzlich kam mir meine Situation lächerlich vor. Ich wollte nicht mehr darüber sprechen und meine Sorgen teilen. Denn was waren schon meine Beschwerden, welche bisher noch keine Diagnose hatten? Vielleicht war es ja gar nichts! Und auch wenn es tatsächlich dieses MS-Ding sein sollte – was war das schon im Vergleich zu Krebs? Egal wer sich dieses Drehbuch ausgedacht hat – ein herzliches F*** dich an dieser Stelle! Meine Tante begann unmittelbar mit der Therapie. Bis heute hat sie alles gemeistert! Und es war definitiv ein steiniger Weg! Es war ein auf und ab und auch ihr Weg geht noch weiter. Ich bin stolz auf sie und bewundere sie dafür, wie sie das alles durchmacht und trotz vielen massiven Tiefschlägen immer wieder positiv vorausschaut oder uns zumindest dieses Gefühl vermittelt!


Ich erhielt einige Tage nach der Lumbalpunktion und der Magenspiegelung einen Anruf und wurde zur Sprechstunde eingeladen. Endlich! In der Neurologie wird man mir nach diesen Untersuchungen doch wohl hoffentlich endlich eine Diagnose stellen können. Oder zumindest eine Therapie nennen können, mit der ich das volle Gefühl in meinem linken Arm zurück erlange. Mir wurde in der Sprechstunde irgendetwas erklärt von wegen die Nervenbahn im Rückenmark sei wie eine Autobahn mit Leitplanken und wenn diese Leitplanken löcherig seien könnten Entzündungen entstehen. Mir war nicht genau klar was das jetzt soll. Auf jeden Fall sollte ein erneutes MRI gemacht werden. Dieses Mal von der Halswirbelsäule.


Eine Woche später sass ich wieder an der gleichen Stelle. Die Bilder waren da. Auf meiner Halswirbelsäule war eine Entzündung auszumachen.


Endlich! Endlich eine Ursache! Endlich ein Problem welches man jetzt lösen kann!


Der Neurologe erklärte mir, dass er gerne mittels Kortison-Infusionen die Entzündung bekämpfen würde. 5 Tage Infusionen, dann Weihnachten und schauen, ob es verschwindet und mich dann im neuen Jahr wieder melden. Aus irgendeinem Grund schickte mich der Neurologe auf die Onkologie-Abteilung für die Infusionen.


Da war er also wieder! Dieser verdammte Krebs – überall um mich herum. Die anderen Patienten im Zimmer kriegten ihre Chemo-Therapien verabreicht, sie alle kämpften einen Kampf, den ich mir nicht vorstellen konnte – nicht vorstellen wollte. Und ich sass hier inmitten aller anderen und war eigentlich putzmunter. Das trübte die Stimmung natürlich gewaltig. Ab dem zweiten Tag hatte ich Kopfhörer dabei und hörte Musik. Flüchten aus der Umgebung war das Ziel.

Die Kortison-Infusionen hatten zwei Begleiterscheinungen:


- Alles schmeckte irgendwie komisch

- Ich konnte nicht mehr schlafen


Trotzdem hatte ich ein gutes Gefühl.


Kortison wirkt doch top gegen Entzündungen, irgendwann diese Woche wird das Gefühl in den Arm und die Hand zurückkommen und alles ist tip-top!


Naja, dem sollte wohl nicht so sein. Als im Januar die Symptome nach wie vor unverändert waren, rief ich nochmals bei der Neurologie an und verlangte einen Termin bei meinem Arzt. Es wurde mir dann mitgeteilt, dass dieser seit dem 31.12. im Ruhestand sei.


Wie bitte? Er bat mich doch, mich im Januar zu melden! Er war aber selbst gar nicht mehr da. Die nette Dame vom Sekretariat bot mir an, beim Nachfolger einen Termin zu vereinbaren. Ich wollte jedoch nicht mehr. Nicht nochmals bei einer fremden Person alles erzählen, nochmals die Untersuchungen für Tast-Sinn und Kälte- / Wärmeempfinden machen. Einfach NEIN. Ich ging zu meinem Hausarzt. Ich teilte ihm mit, dass ich vermute es sei Multiple Sklerose, mir dies jedoch bisher von niemandem so bestätigt wurde. Er hatte die Notizen des Neurologen bei sich und da stand die gleiche Diagnose.


Ich fragte ihn wie es nun weitergeht. Wir kamen gemeinsam zu der Entscheidung, dass ich meine Behandlung in Bern bei den MS-Spezialisten fortfahren soll. Ich war froh ab dieser Lösung! Nicht weil ich dies den Ärzten vor Ort nicht zugetraut hätte. Aber ich wollte einfach jetzt bei den absoluten Spezialisten sein. Ich wollte nicht wieder bei einem Anfänger oder Studenten landen oder jemandem der sich selbst nicht sicher ist. Klar, all das hätte und habe ich vermutlich auch mal in Bern angetroffen. Aber gefühlt waren die Ärzte dort die Spezialisten! Die Cracks! Die werden mir helfen können.


Wir vereinbarten also einen Termin für den Februar. Ich kriegte gleich mehrere Termine, da sie in Bern nochmals neue MRI Bilder machen wollten. Diese wurden gemacht und ich wurde zu einer Besprechung mit meiner Partnerin zusammen eingeladen. Die Diagnose war nun bestätigt. Es wurden mir eine Reihe von Therapie-Variationen vorgestellt und anschliessend wurden mir zwei verschieden Tabletten vorgeschlagen. Beide sehr vielversprechend, beide mit ähnlichen Risiken und Nebenwirkungen.


Zu Hause haben meine Partnerin und ich die Varianten besprochen.


Wie bereits gesagt, sie hat sich so extrem in das Thema eingelesen, sie kannte sich sehr gut aus. Und was Medikamente und Therapien betrifft ist sie sowieso eine Expertin. Ich liebe sie für ihren Einsatz, den sie damals und auch heute in diesem Thema hat. Manche nennen ihren Partner «seinen Anker». Aber ein Anker hält dich an Ort und Stelle und bremst dich. Sie ist mein Motor, mein Antrieb - sie treibt mich immer weiter an!


Wir entschieden uns für das Medikament Tecfidera. Eigentlich hätte ich lieber das andere Medikament gehabt, da dieses nur einmal täglich eingenommen werden muss. Jedoch schloss eine medizinische Vorgeschichte dieses aus. Bei der zweiten Konsultation in der MS-Klinik in Bern konnte ich alle meine Fragen loswerden. Dies war so befreiend. Die Ärztin nahm sich zeit und beantwortete alle meine Fragen umfangreich und vor allem glaubwürdig! Meine grösste Frage war natürlich:


Lande ich jetzt bald im Rollstuhl?


Es war ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung, als mir die Ärztin erklärte, dass dies unwahrscheinlich sei. Bei mir wurde die Krankheit sehr früh diagnostiziert und die Therapien seien vielversprechend. Die Gefahr auf 4x4 altersbedingt umzusteigen sei wohl grösser. Auch wenn dies kein «Nein» war, war es trotzdem wunderschön zu hören.


Später zu Hause habe ich angefangen mich ein wenig im Internet in die Materie genauer einzulesen.


Was könnte alles passieren? Mit welchen Symptomen muss ich rechnen? Was für Krankheitsverläufe gibt es?


Ich musste meine Recherchen beenden. Diese Krankheit ist so hinterlistig, dass sie beinahe bei jedem unterschiedlich aussieht. Du erkennst sie nicht direkt. Es kann sein, dass ich nie im Rollstuhl lande. Es kann aber sein, dass ich doch auf Gehhilfen angewiesen sein werde. Niemand weiss es, niemand kann es sagen.

Das war der Zeitpunkt, an dem ich einen Entschluss gefasst habe. Ich wollte mich jedes Jahr aufs Neue mit etwas herausfordern, dass niemand erwartet und körperlich fordernd ist. Solange ich meinen Körper fordere, bleibt er fit und kann nicht von heute auf morgen nachgeben.


Der Plan stand also – jedes Jahr eine Challenge! 2019 hatte bereits angefangen. Der Startschuss ist also bereits gefallen…


also LOS!



P.S. Danke fürs lesen! Ich bin ziemlich überrascht, dass sich Leute hierhin verirrt haben, obwohl ich diese Seite noch nicht wirklich beworben habe, respektive es noch nicht an die grosse Glocke hängen wollte. Die lieben Nachrichten haben mich jedoch sehr gefreut!


P.P.S Diese Texte sind vielleicht manchmal etwas konfus geschrieben. Ich schreibe diese frei von der Leber weg. Ohne Skript und zweites Mal durchlesen vor dem veröffentlichen. Mit der Zeit überarbeite ich die Texte nochmals um Fehler zu korrigieren. Aber es soll so natürlich wirken wie möglich. So wie ich es noch in Erinnerung habe.

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